Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
nun haben Sie sich also nicht entschließen können, sich anläßlich Ihres gestrigen Besuches in Chemnitz die wirklichen Sorgen und Nöte der Chemnitzer anzuhören. Stattdessen erhielten wir auf unseren Brief nicht den Hauch einer Antwort, Sie haben unsere Einladung schlicht ignoriert.
Daß hochrangige Politiker die wirklichen Ängste und Bedürfnisse „ihres“ Volkes ignorieren, erinnert uns an die Herbstmonate 1989. Auch damals lebte die herrschende Klasse offensichtlich in einer gegen jede Realität luftdicht abgeschirmten Parallelwelt. Wozu das führte, lehrt uns heute das Geschichtsbuch.
Wir fühlen uns in unserer Stadt und in unserem Land zunehmend fremd, angesichts der Tatsache, daß die politische Klasse nur noch predigend und belehrend am Volk vorbeiregiert. Uns beängstigt das Tempo der innenpolitischen Verwerfungen, das seit dem Herbst 2015 auch in unserer Stadt zu beobachten ist. Wir sind irritiert und verunsichert vom Chaos, welches sich in Deutschland auszubreiten beginnt. Wir haben Angst um die Zukunft unseres Landes und unserer Kinder.
Die Mißachtung unserer Bitte, uns ein Gespräch mit Ihnen zu ermöglichen, zeigt uns, daß Sie unsere Interessen nicht vertreten.
Nach unserem Politik- und Demokratieverständnis wäre es die Aufgabe eines Bundespräsidenten, Spannungen und Verwerfungen im Volk aufzuspüren und auszugleichen. Ein Bundespräsident sollte Gemeinsamkeiten betonen und zwar über Parteigrenzen hinaus, statt bestehende Gräben zu vertiefen. Daß Ihnen das nicht gelingt, enttäuscht uns und damit einen wachsenden Teil der Chemnitzer Bevölkerung. Wir hätten von Ihnen mehr Haltung und Stil erwartet.
Es ist das erste Mal seit 1989, daß in Chemnitz seit zehn Wochen, regelmäßig Tausende auf die Straße gehen, um ihrem Unmut über die herrschenden Verhältnisse friedlich Luft zu machen. Auch heute Abend werden wir wieder demonstrieren. Unser Signal geht auch an Sie: Erkennen Sie die Tatsachen, verschließen Sie sich nicht vor der Wirklichkeit. Reden Sie nicht nur von Stabilität, erhalten Sie diese!
Die Vertreter von PRO CHEMNITZ