Chemnitz ist eine der ältesten Städte Mitteldeutschlands und zudem Oberzentrum des Kulturraumes Erzgebirge und des Sächsischen Vogtlandes. Als solche würde das diesjährige Stadtjubiläum Grund und Anlaß genug bieten, sich seiner historischen Bedeutung bewußt zu werden.
Eingebracht wurde das Thema Stadtjubiläum erstmals im Jahr 2012 von der damaligen Leiterin des Stadtarchives Gabriele Viertel. Mit der Beratungsvorlage BR-014/2012 stellte Frau Viertel die richtigen Weichen, indem sie die zu DDR-Zeiten eingeführte Deutung, Chemnitz sei 1165 „gegründet“ worden, verneinte.
Seitens der SED leitete man das Jahr 1165 damals daraus her, daß Kaiser Barbarossa 1165 nachweislich in Altenburg weilte und in diesem Zusammenhang einige Städte gegründet habe, darunter vermutlich auch Chemnitz. Offensichtlich war jedoch, daß sich mit der Einführung von 1165 als „Gründungsjahr“ für Karl-Marx-Stadt für die DDR der Anlaß bot, 1965 ein rundes Stadtjubiläum und gleichzeitig 20 Jahre Kriegsende feiern zu können. Zudem erhielt die „neue“ Stadt Karl-Marx-Stadt ein von der Stadt Chemnitz abweichendes Gründungsjahr, um die Traditionslinien weiter zu verwischen.
Historisch verbürgt ist jedoch, daß Chemnitz 1143 das Marktrecht verliehen wurde. Damit liegt eine sogenannte „urkundliche Ersterwähnung“ vor. Frau Viertel schlug deshalb bereits mit ihrer Vorlage 2012 vor, das Jubiläumsjahr 2018 für eine 875-Jahr-Feier – und damit 1143 wieder als Gründungsjahr der Stadt – ins Auge zu fassen.
Und so ist es erklärbar, daß 1965 das 800-jährige Stadtjubiläum begangen wurde, obwohl man 1893 schon 750 Jahre Stadtgründung feierte (damals mit dem wissenschaftlich nachweisbaren Bezug auf das Jahr 1143).
2018 soll nun also der Verleihung des Marktrechtes an die Siedlung „Kamenize“ gedacht werden. Soweit so gut. Man würde angesichts eines solchen Jubiläums vermuten, daß man das Thema Stadtgeschichte in die Feierlichkeiten einbauen wird. Doch es ist natürlich ganz anders.
Aufbauend auf die Beratungsvorlage von 2012 wurde mit der B‑223/2013 der Beschluß zur Ausrichtung der 875-Jahr-Feier im Jahr 2018 mit einer inhaltlichen Planung durch die CWE gefaßt.
Dieses Konzept lag 2016 vor und wurde mit der Vorlage B‑285/2016 beschlossen. Damit wird die 2018 stattfindende 875-Jahr-Feier ein buntes, barrierefreies Stadtfest werden, zu welchem der historische Grund lediglich den Anlaß bietet, um Steuergelder durch linke Kulturvereine verprassen zu lassen.
Es gab zu diesem Thema eine umfangreiche Diskussion im Kulturausschuß am 15.11.2012. Damals war von Verwaltungsseite die Rede davon, daß die Stadtgeschichte ein wesentlicher Schwerpunkt dieser geplanten Feierlichkeit bilden wird. Von einer wissenschaftlichen Tagung in Zusammenarbeit von Stadtarchiv und TU war damals genauso die Rede, wie von Geldern für eine Print-Veröffentlichung des Stadtarchivs im Jubiläumsjahr.
Diese Punkte sollten in eine von der CWE federführend erstellte Planung mit aufgenommen werden. In der Vorlage B‑285/2016, welche am 07.12.2016 beschlossen wurde, findet sich aber gar nichts davon wieder.
PRO CHEMNITZ fragte deshalb wiederholt beim Kulturbetrieb der Stadt Chemnitz an, zu welchem das Stadtarchiv mittlerweile gehört, um herauszufinden, ob anläßlich des Stadtjubiläums besondere Projekte geplant sind und dafür ein zusätzliches Budget zur Verfügung steht.
2016 und 2017 konnte die Stadt uns noch keine Antwort geben. In der Ratsanfrage RA-037/2018 beantwortete die Oberbürgermeisterin unsere Fragen wie folgt:
Welche Print-Veröffentlichungen plant das Stadtarchiv im Zusammenhang mit dem 875. Stadtjubiläum?
Zum Stadtjubiläum bereitet das Stadtarchiv eine Publikation unter dem Arbeitstitel „Kostbarkeiten aus 875 Jahren Geschichte“ mit Bildern und Dokumenten vor.
Welche Kosten werden dem Stadtarchiv dafür entstehen?
Die Kosten können nicht angegeben werden, da das Manuskript noch in Arbeit ist und erst nach dessen Abschluss eine Ausschreibung nach VOL erfolgen kann.
Die Beantwortung erfolgte am 01.02.2018, also schon im Jubiläumsjahr. Im Klartext bedeutet die Antwort der Oberbürgermeisterin, daß es auch wahrscheinlich sein kann, daß die Publikation auch erst 2019 erscheinen wird, wenn der Text noch nicht einmal abgeschlossen ist und erst nach dessen Abschluß die Ausschreibung für den Druck erfolgen kann.
Gleiches Thema beim Schloßbergmuseum, das gleichzeitig das einzige stadtgeschichtliche Museum von Chemnitz ist. In der Beantwortung unserer Ratsanfrage RA-069/2018, welche am 21.02.2018 durch die Oberbürgermeisterin erfolgte, heißt es:
Findet eine stadtgeschichtliche Sonderausstellung statt?
Wenn nein, weshalb nicht?
In der Zeit vom 26.08. bis 25.11.2018 zeigt das Schloßbergmuseum anlässlich der 875-Jahr-Feier die Sonderausstellung „Des Kaisers Kloster. Die Chemnitzer Abtei im Kontext benediktinischer Kunst und Kultur“.
Zu diesem Thema fand im April vergangenen Jahres (!) ein Kolloquium unter Beteiligung von zwölf Fachwissenschaftlern statt, dessen Ergebnisse in die Ausstellung und die geplante Begleitpublikation unter dem Titel „Des Kaisers Kloster“ einfließen.
Welche zusätzlichen Mittel stehen dem Schloßbergmuseum für das Jahr 2018, als
Jubiläumsjahr zur Verfügung?
Wenn keine zusätzlichen Mittel bereitstehen: Weshalb nicht?
Dem Schloßbergmuseum stehen keine zusätzlichen, sondern die geplanten Ausstellungsmittel zur Verfügung, die für die thematische Sonderausstellung und das oben benannte Programm verwendet werden.
In Vorbereitung auf die 875-Jahr-Feier wird auch die Fassade des Schloßbergmuseums umfassend saniert. Hierfür hat die Stadt Mittel in Höhe von 330.000 € zur Verfügung gestellt.
In Klartext bedeutet das, im April 2017 (!) fand ein Kolloquium zum Thema „Des Kaisers Kloster“ statt, daß auch stattgefunden hätte, wenn 2018 kein Jubiläum gewesen wäre. Und in diesem Jahr köchelt man die Ergebnisse dieser Tagung nun in Form einer kleinen Sonderausstellung auf, um (aufgrund des fehlenden Finanzbudgets) für das Jubiläumsjahr irgendwas vorweisen zu können. Pikant daran ist, daß der im Ausstellungstitel enthaltene „Kaiser“ natürlich Kaiser Barbarossa ist, welcher erst 1155 zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wurde. Folglich war er 1143, dessen Jubiläum 2018 begangen wird, noch gar nicht Kaiser! Außerdem wurde 2012 bereits vereint, daß Kaiser Barbarossa im unmittelbaren Zusammenhang mit der Stadtgründung von Chemnitz zu sehen ist. In der für 2018 geplanten Sonderausstellung geht es also um das Kloster auf dem Schloßberg, aber nicht im das Stadtjubiläum.
Lächerlich ist ebenfalls, daß die Sanierung der Außenfassade (welche sicher erst 2019 abgeschlossen sein wird und nach über 20 Jahren überfällig ist) von der Oberbürgermeisterin als Maßnahme im Zusammenhang mit dem Stadtjubiläum umgedeutet wird.
Fakt ist also, daß nicht nur das Stadtarchiv, sondern auch das Schloßbergmuseum – außer einer kleinen Vortragsreihe zur Stadtgeschichte, wozu ein „Flyer“ gedruckt wurde (siehe RA-069/2018) – praktisch nichts zum Stadtjubiläum beiträgt, weil beiden Einrichtungen von der Stadtverwaltung dazu weder der Auftrag erteilt, noch zusätzliche Gelder zur Verfügung gestellt wurden.
Was findet nun aber 2018 überhaupt statt?
Eine schaurige Antwort darauf findet sich in der Beschlußvorlage B‑212/2017, welche am 16.11.2017 den Kulturausschuß passierte: Für sage und schreibe 57.430 Euro, sollen „Projekte“ durchgeführt werden, welche dann das „Stadtjubiläum“ darstellen sollen. Um nur drei zu nennen:
You want Love? So give me Money!
Projekt zum Thema „875 Jahre Prostitution in Chemnitz“
Projektzeitraum: März/April 2018
Projektförderung durch die Stadt: 11.680 Euro
Das Sichtbare im Unsichtbaren/ Über Orte in uns
Partizipatives Performance- und Installationsprojekt im Stadtraum von und mit Menschen mit Sehbehinderung
Projektzeitraum: 2018
Projektförderung durch die Stadt: 12.000 Euro
[Hinweis: Das Projekt läuft schon seit 2017 und hat folglich nichts mit dem Stadtjubiläum zu tun.]
KlangSkulptur (für Sonnenberg)
Projekt zum Thema „Liebe zur Kreativität“; unter Einbeziehung von Jugendlichen soll eine Klangskulptur aus Holz und Metall entstehen
Projektzeitraum: April bis August 2018
Projektförderung durch die Stadt: 4.000 Euro
[Hinweis: Auch dieses Projekt hat nichts mit dem Stadtjubiläum zu tun.]
Außerdem heißt es in der Vorlage, daß für das Jubiläumsjahr weitere 120.000 Euro für Maßnahmen freier Kulturträger bereitstehen, um Projekte und Vorhaben (siehe oben) zum Stadtjubiläum zu unterstützen.
Ein kleiner aber schwacher Trost ist es da, daß die Jakobikirchgemeinde das Jubiläumsjahr dazu nutzen wird, zum Pfingsten 2018 den historisch bedeutsamen „Hesse-Breuer-Altar“ zu weihen. Aus Sicht von PRO CHEMNITZ ist dies – erschreckender Weise – die einzige Veranstaltung im Rahmen des diesjährigen Stadtjubiläums, welche einen klaren stadtgeschichtlichen Bezug aufweist. Umso trauriger ist es, daß die Altarsanierung und auch die Weihefeierlichkeiten aus privaten Mitteln finanziert werden und die Stadt dazu nichts beigetragen hat (siehe Ratsanfragen von PRO CHEMNITZ RA-254/2017 und RA-038/2018).
Das 875. Stadtjubiläum wird also bestenfalls ein Testdurchlauf für die von der Stadt beharrlich geplanten Veranstaltungen anläßlich der (möglichen, aber sehr unwahrscheinlichen) Tatsache sein, daß Chemnitz 2025 Kulturhauptstadt Europas werden könnte. Die 2018 stattfindenden Veranstaltungen zeigen drastisch, wie groß die von oben verordnete Selbstvergessenheit gegenüber der eigenen Geschichte und Tradition ist. Die Chemnitzer sollen sich (genau wie die Deutschen im Allgemeinen) nicht mehr an ihre eigene Geschichte erinnern dürfen.
Deshalb: 2019 PRO CHEMNITZ wählen.